Wald, Wild – Ein Widerspruch?
Gerade in Zeiten des Klimawandels und der zunehmenden Schäden im Wald kocht immer wieder der Wald – Wild – Konflikt hoch. Temperamentvoll wird diskutiert, wo die Priorität liegt und dabei oft nur einseitig betrachtet und argumentiert. In diesem Beitrag wollen wir uns dem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln nähern und den Bezug zur Praxis herstellen.
Zu viel oder zu wenig Wild?
Für die eine Seite sind es zu viele Rehe, die Anderen sind der Meinung, dass das Reh im schlimmsten Fall schon kurz vor der Ausrottung steht. Wie so oft liegt die Wahrheit, sofern es tatsächlich eine gibt, irgendwo in der goldenen Mitte. Dass Wald und Wild zusammen gehören wird von den Akteuren keiner anzweifeln. Interessant ist aber, wie sich der Blickwinkel und damit letztendlich die Auswirkung auf das Ökosystem Wald verändert, wenn wir Wald und Wild mit verschiedenen Wörtern verbinden.
Wald vor Wild
Diese drei berühmt-berüchtigten Worte finden sich beispielsweise im Waldgesetz von Bayern bereits in Artikel 1 als klarer gesetzlicher Auftrag manifestiert und sind für so manchen ein Schreckgespenst, gleichzusetzen mit Ausrottung, Schädlingsbekämpfung oder gnadenloser Verfolgung von unschuldigen Lebewesen. Im Rahmen des notwendigen Waldumbaus, erzwungen durch den Klimawandel, wird gerade von Seiten der Waldbesitzer der Ruf nach Wald vor Wild bundesweit immer lauter. Die Befürworter von Wald vor Wild verweisen auf die zu hohen Wildbestände und die oft trophäenorientierte Bejagung. Wie sieht ein Waldbild in der Praxis aus, wenn nach dem Gesichtspunkt Wald vor Wild gejagt wird? Dazu folgende Bilder.
Auf beiden Bildern kann man erkennen, wie Waldumbau ohne teure, hässliche und wildfeindliche Schutzmaßnahmen im Einklang mit der Jagd funktionieren kann. Eigentlich müssten diese Waldbilder das Ziel eines jeden Jägers sein, denn einen attraktiveren Lebensraum für das Wild kann man künstlich, kostengünstig und vor allem großflächig kaum schaffen. Obwohl der Beginn dieser Entwicklung Wald vor Wild bedeutet, entsteht in relativ kurzer Zeit ein Wald mit Wild. Hier sind wir von der Ausrottung der Rehe Lichtjahre entfernt. Im Gegenteil die Rehdichte wird sich positiv nach oben entwickeln.
Wald mit Wild
Viele Gegner der Wald vor Wild Philosophie propagieren, dass es doch Wald mit Wild heißen müsste. Das ist grundsätzlich richtig und letztendlich auch ein Ergebnis der Wald vor Wild Strategie. Mit unseren jagdlichen, gesetzlich erlaubten Mitteln ist es völlig undenkbar Rehwild auszurotten. Bei einer zu starken Bejagung würde die Wilddichte unter einen kritischen Wert sinken, die keine Ausrottung zur Folge hätte, aber dem Jäger das Reh unsichtbar macht. Das Reh würde aber positiv auf die folgenden Lebensraumveränderungen reagieren und möglichst nach dem Erreichen der Biotopkapazität streben. Heißt in der Praxis die Vermehrungsrate würde deutlich ansteigen und es kämen auch mehr weibliche Kitze zur Welt. Dazu gibt es viele Praxisbeispiele, in denen die Ricken nach erfolgter Reduktion statt durchschnittlich ein Kitz pro Jahr nun 2 Kitze oder oft auch Drillinge setzen und erfolgreich groß ziehen konnten. Das heißt in der Konsequenz für den Jäger, in dieser Phase dran zu bleiben und weiter die Bejagung fortzusetzen. Als Lohn der Mühe winken körperlich stärkere Rehe und damit verbunden auch stärkere Trophäen. So steigt das Durchschnittsgewicht der erlegten Stücke, oft von 13 – 14 Kg auf 18 – 20 Kg an. Ein gesunder, dem Lebensraum angepasster Wildbestand entwickelt sich und parallel wächst der Wald.
Ein Praxisbeispiel
Dazu ein Beispiel von einem Rehbock aus einem oberbayerischen Revier auf 600 m Meereshöhe mit gemischtem Wald- / Feldanteil. In diesem Revier wird seit 8 Jahren „waldbaufreundlich“ gejagt. Durch die positive Veränderung der Äsungssituation im Wald, in Kombination mit dem Zwischenfruchtanbau in der Landwirtschaft, findet mangels Notzeit keine Fütterung statt.
Aufgebrochen ohne Haupt 18 Kg P3 Anfang Mai noch 3-teilig
Dieser Bock wog aufgebrochen ohne Haupt 18 Kg und wie der Unterkiefer Anfang Mai beweist, handelt es sich dabei eindeutig um einen Jährling. Bevor jetzt jemand mit entsetzten Augen von Fehlabschuss spricht, sind diese Jährlinge in diesem Revier die Regel. Entsprechend muss auch im Rahmen der Abschussplanerfüllung der eine oder andere erlegt werden. Dieser Bock ist das Ergebnis einer konsequenten Bejagung, die sich auf die waldbaulich relevanten Schwerpunkte beschränkt. So gibt es in diesem Revier einen größeren Teil der Waldflächen, wo in den letzten Jahren, trotz Rehwildvorkommens, keine oder nur wenige Schüsse gefallen sind.
Wild vor / mit Wald
Eine interessante Betrachtung ist es, die Worte zu vertauschen und den Schwerpunkt auf das Wild zu legen. Das wäre aus biologischer Sicht eigentlich unsinnig, aber durch den Einfluss von uns Menschen durchaus realisierbar. Aber warum macht es aus Sicht der Biologie keinen Sinn? Es wäre fatal, wenn der Pflanzenfresser seinen Lebensraum beherrschen würde. Das ist ähnlich wie in einer Räuber-Beute Beziehung, in der die Aktion immer vom Beutetier ausgeht. Was hätte es für eine Konsequenz, wenn der Räuber sein letztes Beutetier fressen würde? Letztendlich sägt er an dem Ast, auf dem er sitzt und er würde in der Folge aussterben. Daher entwickelte die Natur Mechanismen, um solche Vorgänge zu stoppen. Dazu gehören zum Beispiel Abwanderung, geringerer Reproduktionserfolg, Seuchen und Krankheiten. Ein Waldbild spiegelt die Situation Wild vor Wald wieder.
Wir sehen einen beeindruckenden Vergleich der Waldentwicklung in und ausserhalb des Zauns. Links im Zaun entsteht eine reiche Naturverjüngung und auch die Waldbodenbedeckung ist viel Arten- und Strukturreicher. Das wäre der ideale Lebensraum für das Rehwild und würde auch im Wald den natürlichen Äsungsbedürfnissen entsprechen. Rechts, ausserhalb der geschützten Fläche, sieht es eher trostlos aus und das Reh wird da nicht glücklich sein. Würde jetzt in diesem Bereich die Rehdichte durch Schwerpunktbejagung punktuell abgesenkt, dann könnte auch ausserhalb des Zauns die Entwicklung wie im Zaun stattfinden und es wäre möglich innerhalb von 2 – 3 Jahren den Zaun zu entfernen. So können wir dem Reh eine hochattraktive, großräumige Fläche zur Verfügung stellen. Der Eine oder Andere wird jetzt als Möglichkeit noch Einzelschutzmaßnahmen in den Raum stellen. Dazu ein Bild als Beispiel.
Auf dieser kleinen Fläche wurden vom Waldbesitzer Tannen gepflanzt. Aufgrund der Flächengröße macht ein Einzelschutz erstmal Sinn. Die ungeschützte Fläche würde dem Reh als Äsungsfläche zur Verfügung stehen. Grundsätzlich ein richtiges Vorgehen. betrachte man die Fläche jedoch näher, sieht es zwar sehr schön grün aus, aber die Vegetation ist für das Reh als Äsung denkbar ungeeignet. Wie schön könnte dieser Bereich als Lebensraum sein, wenn zumindest punktuell etwas mehr Wald vor Wild gelten würde? Im besten Fall könnte der Waldbesitzer sogar auf die teuren und für die Augen der Waldbesucher nicht schönen Schutzmaßnahmen verzichten.
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Das „Problem“ beginnt schon viel früher
Wenn wir über Wildschäden im Wald reden, stehen in der Regel die kleinen Bäume im Fokus. Die meisten übersehen, dass die Probleme bereits viel früher entstehen, mit teilweise dramatischen Auswirkungen auf das Ökosystem Wald. Dazu eine Frage, die eigentlich jeder Jäger wie aus der Pistole geschossen beantworten können müsste, da uns die Antwort vom ersten Tag der Jagdausbildung fast schon gebetsmühlenartig eingetrichtert wird. Was äst unser Reh? Sofort fallen Begriffe wie Selektierer, Nascher und vor allem Kräuter. Und das ist eigentlich schon der Schlüssel zur tatsächlichen Problematik im Wald. Bevor sich der kleine Cervide übermäßig an den jungen Bäumchen vergreift, wird er sich erstmal über seine krautige Lieblingsspeise hermachen. Doch was passiert, wenn zu viele Rehe da sind? Wie bereits im Punkt Wild vor / und Wald dargestellt wird sich der Lebensraum massiv verändern. Als erstes verlieren wir die Kräuter und im zweiten Schritt geht es an die Bäume. Es findet eine Entmischung statt.
Bedeutung der Kräuter
Doch warum sind die Kräuter für den Wald so wichtig. Die krautige Flora stellt neben den herabgefallenenen Blättern der Bäume die Hauptnahrung der Regenwürmer dar. Daraus produzieren sie zusammen mit einer Heerschar von Bakterien und anderen kleinen Lebewesen fruchtbaren Humus. So entsteht ein biologisch hochaktiver, gesunder Boden mit all seinen wichtigen Funktionen, die in Zeiten des Klimawandels immer mehr an Bedeutung gewinnen. In vielen Wäldern wird allerdings mangels krautiger Pflanzen mehr Humus verbraucht, als neu nachproduziert werden kann.
Zurück in die Praxis
Zur Erläuterung nochmal zurück zu unserem oberbayerischen Revier mit dem gut entwickelten Jährlingsbock. Vor 8 Jahren wurde dieses Revier eher nach der Prämise Wild vor Wald bejagt. Die behördlich geforderten, steigenden Abschußzahlen wurden mit der nahenden Ausrottung der Rehe kommentiert . Zu Beginn der jagdlichen Umstellung wurde in einem Fichtenbestand folgendes Bild von der Bodenvegetation gemacht.
Wie zu erkennen ist, sieht man nur Seggen, die als Äsung für unser Reh keine Bedeutung haben. Der negative Einfluss des Pflanzenfressers ist durch Entmischung seines Lebensraums deutlich zu erkennen. Das Reh, das hier leben muss, hat Hunger, kommt nur bedingt an seine krautigen Pflanzen und kümmert vor sich hin.
4 Jahre später…
In diesem Bild erkennt man an der gleichen Stelle die deutliche Veränderung der Bodenvegetation innerhalb kurzer Zeit nachdem die Abschußzahlen temporär erhöht wurden. Es wachsen viele verschiedene Kräuter und dem Reh geht es gut. Der Vorteil ist dabei auch, dass sich dieser Effekt auf der gesamten Fläche einstellt und somit alle Rehe davon profitieren können. Ein besseres Äsungsangebot können wir künstlich und kostengünstiger mit Wildäsungsflächen in dieser Intensität nicht schaffen. Jetzt beginnen auch die Bäume unbeschadet zu wachsen und der Waldbesitzer freut sich. Auch für uns Jäger besteht ein Grund zur Freude, da wir durch die Hege mit der Büchse (intensive Schwerpunktbejagung) einen gesunden Wildbestand und hervorragende Rehlebensräume erreicht haben. Diese können und müssen wir nachhaltig nutzen, um der starken Zunahme der Rehwilddichte, aufgrund der verbesserten Lebensräume, entgegenzuwirken.
Das Ziel Wald mit Wild
Vielleicht ist Ihnen beim Lesen der vergangenen Zeilen bewusst geworden, welch fantastischen Möglichkeiten wir Jäger haben, um nicht nur Freude an der Jagd zu erleben, sondern auch unseren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen und der Gesellschaft einen großen Dienst für die Zukunft zu erweisen. Wünschenswert ist dann, dass wir als Dank nicht nur schöne Lebensräume und gesundes Wild bekommen und erhalten, sondern auch die Jagdgenossen unsere Leistungen anerkennen und uns bei der Verhandlung zur Jagdpacht entgegenkommen. Doch es muss klar sein, dass wir in Vorleistung gehen müssen.
In diesem Sinne nutzen wir unsere Chance mit weniger Angst vor Wald vor Wild, was ja letztendlich nichts anderes bedeutet als ein Wald MIT Wild.
2 Kommentare
Danke für die klare Darstellung!
Es wäre schön, würden sich möglichst viele „Trophäenjäger“ das zu Herzen nehmen!
Sehr geehrter Herr von Eyb,
vielen Dank für Ihren Kommentar.
Viele Grüße und Waidmannsheil
Das Jagd1-Team
Sehr geehrte Damen oder Herren,
ich finde den Artikel insgesamt sehr klar und logisch strukturiert. Emotionale Fallstricke fehlen vollständig, was sicher die Auseinandersetzung mit diesem Artikel fördert. Inhaltlich kann ich nur zustimmen.
Dr. W. Kornder
(Vorsitzender ÖJV Bayern)
Sehr geehrter Herr Kornder,
vielen Dank für Ihre zustimmenden Worte. Wie Sie richtig erkannten, versuchten wir aus dem Thema etwas Emotionen rauszunehmen und auch entsprechende Fakten zu liefern. Nur wenn es uns gelingt wieder mehr auf die sachliche Ebene zurückzukehren, können wir etwas Positives erreichen.
Viele Grüße
Das Jagd1-Team